2003 - Fred Wander

Theodor Kramer Preis 2003 für Fred Wander

 
Der Theodor Kramer Preis für Schreiben im Widerstand und im Exil ging 2003 an Fred Wander (Wien). Das entschied der Vorstand der Theodor Kramer Gesellschaft. Der Preis ist - mit Unterstützung des Landes Niederösterreich, der Stadt Wien und der Kunstsektion des Bundeskanzleramtes - mit Euro 7.300,- dotiert.

 
Preisbegründung:

Lieber Fred Wander, 

Der Vorstand der Theodor Kramer Gesellschaft hat am 7. Novem­ber 2002 beschlossen, Dir in Würdigung Deines Gesamtwerkes den Theodor Kramer Preis für Schreiben im Widerstand und Exil für das Jahr 2003 zu ver­leihen.

Du hast in Deinen Romanen, Erzählungen und Deiner Autobiographie Widerstand geleistet gegen die Vernichtung: Lebendig wiederauferstehen läßt Du die von den Nationalsozialisten Gepeinigten und Ermordeten. Und ebenso hast Du angeschrieben gegen die spätere Vernichtung durch das Schweigen, durch das Hinnehmen des Geschehenen. An die Stelle eines fatalistischen "Es musste so kommen" hast Du Dein "Es hätte nicht sollen sein" gesetzt.

Du hast in Deinem Werk die Perspektive vom Rand her, aus der Position des Außenseiters, des Ausgegrenzten genützt, um die Welt neu zu sehen und mit geöffneten Sinnen zu beschreiben. In Dir finden wir jene "schöpferische Neugier auf das Andere", jenes "Wahrnehmen aller widersprüchlichen Kräfte in uns selbst und der Welt", jene "Fähigkeit, sich selbst als Fremder zu erleben", die Du Dir selber als Anspruch gestellt hast.

Antisemitismus, Nationalismus und Fanatismus in allen ihren Formen hast Du in Deinen Schriften stets bekämpft – nicht allein durch ihre Verurteilung, sondern vor allem durch die Verführung zu einem anderen Leben, einem Leben des Schauens und Fühlens, der Aufmerksamkeit für alles menschliche Tun.

Wien, am 25. April 2003

Kurzbiographie des Preisträgers

Fred Wander, geboren 1917 in Wien als Fritz Rosenblatt, schlug sich vor der Annexion Österreichs in diversen Berufen in mehreren Ländern durch. Im Mai 1938 gelang ihm die Flucht über die Schweiz nach Paris. Dort wurde er nach Kriegsbeginn als ”feindlicher Ausländer” interniert. 1940 flüchtete er in die nicht-besetzte Zone Frankreichs, nach Marseille. Im September 1942 versuchte er vergeblich, in die Schweiz zu fliehen. Er wurde von der Schweizer Polizei in Ketten der Gestapo ausgeliefert, ins Lager Rivesaltes überstellt und über Drancy nach Auschwitz deportiert, von dort nach Groß-Rosen und Buchenwald, wo er im April 1945 die Befreiung erlebte und nach Wien zurückkehrte. Sein Vater, seine Mutter und seine Schwester Renée wurden 1942 in Auschwitz ermordet.

In Wien arbeitete er als Zeichner, Fotograf, Reporter, Essayist und Feuilletonist für Zeitungen. Auf Einladung des Johannes R. Becher‑Instituts kam Wander 1955 in die DDR. Gemeinsam mit seiner Frau, der aus Wien stammenden Schriftstellerin und Fotografin Maxie Wander, lebte er lange Jahre als freischaffender Schriftsteller, Publizist und Theaterautor in der DDR. 1983 kehrte Wander nach Wien zurück.

"... mein Thema ist das Überleben", schreibt Fred Wander und meint damit nicht einfach die eigene physische Person, sondern den Typus: "den Flüchtling, den Andersartigen und Außenseiter, den Mißachteten und Gehaßten", die besser als die "in der Geborgenheit des Stammes" Ansässigen geeignet sind, "in sich die Menschheit als Ganzes zu erleben."

Der hohe ästhetische Anspruch, "in sich die Menschheit als Ganzes zu erleben", ist ganz besonders in Wanders umfangreichstem Erzählwerk Hôtel Baalbek erfüllt. Der Roman spielt 1940-42 in Marseille, der Stadt der Flüchtlinge in der nicht-besetzten Zone Frankreichs. In Wanders Hôtel Baalbek fließen neue historische Erfahrungen ein, eine neue Perspekti­ve, in der lebendige Gegenwart wird, was am Rande der Vernichtung stand, ja an ihm erst entstand. Wander hat diesen Widerstand gegen das Faktum der Ver­nichtung schon in seiner großen Erzählung Der siebente Brunnen (1971) artikuliert. ”Wenigstens einige Namen aufrufen, einige Stimmen wiedererwecken, einige Gesichter aus der Erinnerung nachzeichnen”, schrieb Christa Wolf 1972 über die Intention des Werkes, das 1972 mit dem Heinrich-Mann-Preis ausgezeichnet wurde.

 Fred Wander ist am 10. Juli 2006 in Wien verstorben.

Werke

Der siebente Brunnen. (Erzählung.) Berlin, Weimar: Aufbau 1971. 143 S. (BRD-Ausgabe: Darmstadt: Luchterhand 1985. - Gewidmet "Dem Andenken meiner Tochter Kitty". Erinnerungen an Auschwitz und Buchenwald).

Holland auf den ersten Blick. Impressionen von einer Autoreise. Leipzig: F.A. Brockhaus 1972. 179 S. (Mit zahlreichen Photos F.W.s).

Ein Zimmer in Paris. (Erzählung.) Berlin, Weimar: Aufbau 1976. 175 S.

Josua läßt grüßen. Der Bungalow. Zwei Stücke. Berlin, Weimar: Aufbau 1979. 184 S. (Edition Neue Texte).

Hôtel Baalbek. (Roman.) Berlin, Weimar: Aufbau 1991. 222 S. (Erinnerungen an die Zeit in Marseille, 1940‑42).

(Alle drei Bücher wiederaufgelegt: Frankfurt: Fischer-TB 1994).

Das gute Leben. (Erinnerungen.) München, Wien: Carl Hanser 1996. 360S.


Ein Fest für Fred Wander

Freitag, 25. April 2003, Feierliche Verleihung in Krems (NÖ) 20 Uhr, Minoritenkirche Stein/Krems: Verleihung des Theodor Kramer Preises für Schreiben im Widerstand und im Exil - Uraufführung neuer Lieder nach Gedichten Theodor Kramers:

Begrüßung durch den LAbg. DI Bernd Toms in Vertretung des Landeshauptmanns Dr. Erwin Pröll und Sylvia Treudl (Unabhängiges Literaturhaus Niederösterreich).
Neue Lieder nach Gedichten von Theodor Kramer von Erwin Schmidt. Es spielt das Erwin Schmidt Ensemble
Laudatio von Univ.Prof. Dr. Karl Müller
Worte und Lesung des Preisträgers Fred Wander
Miguel Herz-Kestranek liest aus dem Werk von Fred Wander
Das Erwin Schmidt Ensemble spielt zum Tanz

Gemeinsame Veranstaltung von Theodor Kramer Gesellschaft, NÖ Donaufestival und Unabhängiges Literaturhaus NÖ mit Unterstützung der Grazer Autorenversammlung.

Fred Wander:

Worüber ich schreibe

Wenn ich sage, mein Thema ist das Überleben - wie überlebt der Mensch in der Katastrophe, dann meine ich das nicht nur physisch, und nicht Menschen in der Gruppe, sondern Einzelgänger meine ich, den nomadischen Typ, den Flüchtling, den Andersartigen und Außenseiter, den Mißachteten und Gehaßten. Denn der Mensch findet sich selbst besser im Unbekannten, als in der Geborgenheit seines Stammes. Und er ist dann besser geeignet, in sich die Menschheit als Ganzes zu erleben.

Auch das ist das zentrale Thema: Die Selbstfindung in der Fremde und Anonymität. Und ich habe mein Leben lang nach exemplarischen Beispielen Ausschau gehalten, von Leuten, die fast nichts besitzen, kaum Bedürfnisse haben und doch Freude am Dasein finden. Ich meine nicht Heilige, sondern ganz einfache und manchmal sogar ungeschickte Menschen, die wenig brauchen, um viel zu erleben. Die oft geradezu ekstatisch zu leben verstehen, in einer Freiheit, die nur sie kennen. Deren Lebenskunst in der Mischung der Gegensätze liegt, in der Spannung der Kontraste zwischen äußerster Trauer und dann wieder Lebensfreude, manchmal in überschäumender, wilder Energie - und manchmal in marmorner Ruhe, wenn der Boden wankt. Einige von diesen Leuten habe ich in meinen Erzählungen zu zeichnen versucht.

 

Die Juden sind nicht das auserwählte Volk, wie manchmal behauptet wird, und dann vielleicht nur in dem Sinn, daß sie ein Beispiel abgeben für das Anderssein in der Welt, das Fremde, das wir akzeptieren und achten sollen, wie es auch in der Bibel steht. Und wie es noch andere Völker und Minderheiten gibt, die uns fremdartig oder sogar exotisch erscheinen. Denn wenn wir das Andere und das Fremde nicht aufmerksam betrachten, werden wir uns selbst nie erkennen, werden uns selbst zerstören, wie Narziss, der sich in sein Spiegelbild verliebte! Jede Art von Nationalismus und Vergötzung des eigenen Stammes bringt nur Haß und Gewalt. Und das ist es auch, was uns die herrschende Macht suggerieren will. Nur die schöpferische Neugier auf das Andere, das Wahrnehmen aller widersprüchlichen Kräfte in uns selbst und der Welt, die Fähigkeit, sich selbst als Fremder zu erleben, kann uns vor dem Chaos retten!

1975

Ich habe in meinem früheren Dasein so lange und heftig in Entbehrung und Not gelebt, daß ich heute noch gut davon zehren kann.

1971

 

Du siehst dich in der Baracke auf der Pritsche liegen, nachts, wenn ringsum die Gefangenen stöhnen im Schlaf - und sterben. Und du bist stummm geworden und hast nur noch im Schauen und Lauschen gelebt. Du hast deinen Hunger, deinen Schmerz, deine Angst zurückgelassen und dich erhoben über dich selbst. In den Briefen der zum Tode verurteilten Widerstandskämpfer ... findest du diese Glut der Erleuchtung, der Wachheit und des Hinausgehobenseins aus dem Ich.

Das gute Leben, 1996

 

 Zitate zu Fred Wander

Erzählen, das war schon in Der siebente Brunnen die Erinnerung der lebendigen Rede, der Vielfalt der Sprachen und Sprechweisen bis hin zur stummen Sprache der Mienen, Blicke und Gebärden, jenes ungeheure Spektrum der Manifestationen des Lebenstriebs am Rande der Ohnmacht und des endgültigen Verstummens im Tod. Das sonst so sprachbewußte zeitgenössische kulturelle Bewußtsein hat dieses Werk noch nicht entdeckt. Es ist ein einzigartiges plebejisches Hohes Lied auf jene erst im Tod endgültig verstummende Sprache des Lebens ...

Hans Höller, Der Standard (Wien), 5.1. 2002

 
Kein Zweifel, hier will einer erzählend nicht nur Wahrheit finden und sagen, wie es gewesen ist, er will vielmehr das Vergangene wiederhaben, er will das ganze Leben dieser Tage im August, auf die schon der Schatten der Vernichtung fiel, in der Literatur, in der sinnlichen Vergegenwärtigung wiederaufleben lassen.

[...]

Fred Wanders Roman über ein Hotel, ein auf Sand gesetztes Narrenschiff, das die merkwürdigsten Gestalten beherbergt, braucht den Vergleich mit einem anderen Marseille-Roman, mit Anna Seghers berühmtem "Transit" nicht scheuen.

Karl-Markus Gauß über "Hôtel Baalbek", Die Presse (Wien), 21.1. 1992

 

Der Blick von dort unten, der auch heutige, zeitgenössische Arten von Unterdrückung und Knechtung wahrnimmt, richtet sich nicht sosehr auf einen großen, revolutionären Horizont, wohl aber auf die ungebrochene Kraft der Schwachen. Die Gabe, ein Geschichtenerzähler zu sein, gehört, wie wir von den Begebenheiten im Lager Auschwitz lesen können, dazu, sie ist eine ganz entschiedene Kraft zum Überleben. Und als einfacher, wohl aber kunstvoller Geschichtenerzähler nach alter jüdischer Tradition will sich Fred Wander verstanden wissen, und wer je sein Gast sein durfte, weiß welche Kräfte seine Geschichten freisetzen können.

Klemens Renoldner, Die Presse, 10.1. 1987

 

Wanders Figuren haben schon in der einfachen (und doch so voraussetzungsvollen) Bestimmung, da zu sein, Identität nur in der Nicht-Identität. Das gilt besonders für die jüdi­schen Menschen, die die sechs Stockwerke des Hotel Baal­bek bevölkern. Sie lebten seit jeher unter der Decke der offiziel­len gesellschaftlichen Verhältnisse, waren mit sich identisch im Nicht-Identischen, bezogen daraus ihren Witz; das wird ihnen jetzt, auf der Flucht, überdeutlich bewußt. Die Ver­folgung richtet sich gegen dieses Nicht-Identische und will einen Gott töten, der Humor hat: in dessen Schöpfung man auch ohne Ausweis da sein kann.

Fred Wander, angetreten zur Verteidigung eines "Gottes der Vernunft", der Humor hat, ist unbesiegt geblieben wie Heines "Enfant perdu". Vielleicht besteht darin die ganze Kunst.

Konstantin Kaiser, Literatur und Kritik (Salzburg), 1992