Theodor Kramer Preis 2002 für Alfredo Bauer und Fritz Kalmar
Der Theodor Kramer Preis für Schreiben im Widerstand und im Exil ging 2002 zu gleichen Teilen an Alfredo Bauer (Buenos Aires) und Fritz Kalmar (Montevideo). Das entschied der Vorstand der Theodor Kramer Gesellschaft.Der Preis ist - mit Unterstützung des Landes Niederösterreich und der Kunstsektion des Bundeskanzleramtes - mit Euro 7.280,- (öS 100.000) dotiert und wurde am 26. April 2002 in Zusammenarbeit mit dem Unabhängigen Literaturhaus NÖ in Krems verliehen.
Kurzbiographien der Preisträger
Alfredo Bauer,geboren 1924 in Wien, flüchtete 1939 mit seinen Eltern nach Argentinien, wo er die antifaschistische deutsche Pestalozzi-Schule besuchte. Schon 1944 verfaßte er, angeregt durch den von ihm verehrten Jura Soyfer, Kleinkunststücke für die Theatergruppe des Free Austrian Movement. Er studierte Medizin, etablierte sich als Gynäkologe in Buenos Aires, schrieb für das Argentinische Tageblatt. Gründer und Vizepräsident der Ateneo Argentino Alejandro von Humboldt, veröffentlichte er 1971 eine "Historia crítica de los judíos" und verfaßte mit Los compañeros antepasados die vierbändige Geschichte einer Wiener jüdischen Bürgerfamilie vom Revolutionsjahr 1848 bis zur Flucht in die Neue Welt 1938. In deutscher Übersetzung erschienen drei Bände des monumentalen Werks in der Deutschen Demokratischen Republik. Bauer, der spanisch und deutsch schreibt, Werke von Heinrich Heine, Felix Mitterer und Jura Soyfer u.a. ins Spanische übersetzte und auch zahlreiche wissenschaftliche Abhandlungen und Aufklärungsschriften zur Sexologie und Gynäkologie veröffentlichte, arbeitete zuletzt an einem Buch über Benito Mussolini. Alfredo Bauer lebt heute nach wie vor in Buenos Aires.
Fritz Kalmar, geboren 1911 in Wien, verstorben 2008 in Montevideo, studierte Jus in Wien und war bis 1938 als Rechtsanwaltsanwärter tätig. 1939 gelang ihm die Flucht nach Bolivien, wo er in La Paz Mitbegründer und später Präsident der "Federación de Austríacos Libres en Bolivia" wurde. Leidenschaftlich zum Theater hingezogen, hat er nicht nur zahlreiche Theaterstücke (1977 wurde Im Schatten des Turmes am Wiener Volkstheater uraufgeführt) und Sketches verfaßt, sondern selbst auch lange Jahre in La Paz und Montevideo, zusammen mit Erna Terrel und bis zu dessen Tod mit Georg Terramare, Theaterabende organisiert und die verschiedensten Rollen gespielt. Die Geschichte des deutschsprachigen Exiltheaters in Südamerika hat er wesentlich mitgeschrieben. Bis 1990 war Kalmar ehrenamtlicher österreichischer Honorar-Generalkonsul in Uruguay und unterstützte in dieser Eigenschaft politisch verfolgte Bürger Uruguays. Trotz vieler Veröffentlichungen (so schon in der von Hermann Hakel herausgegebenen Zeitschrift Lynkeus) erfolgte sein literarischer Durchbruch erst mit dem Band Das Herz europaschwer. Fritz Kalmar lebte bis zu seinem Tod in Montevideo. Ein liebevoller Nachruf auf Fritz Kalmar von seinem Neffen Roberto Kalmar, "Ein geübter Heimwehträger", ist in Zwischenwelt Nr. 3/4, Dezember 2008, S. 12-16, abgedruckt.
Beide, Alfredo Bauer und Fritz Kalmar, verbanden ihr Engagement für die Wiederherstellung eines demokratischen Österreich, ihr nie nachlassendes Interesse für die Kultur dieses Landes und seine weitere politische Entwicklung mit der Aneignung der Sprache, Kultur und Geschichte der Länder, die ihnen zur neuen Heimat geworden waren. Namentlich Alfredo Bauer hat sich, ausgehend von den Thesen des peruanischen Marxisten José Carlos Mariátegui, mit der komplexen Geschichte und sozialen Situation Argentiniens auseinandergesetzt. Für beide geht die Liebe zu Österreich mit der Bereitschaft zur schärfsten Kritik an den landläufigen Selbsttäuschungen und Lügen einher. Besonders Fritz Kalmar hat mit der Geschichte des Sarges, der sich nicht mehr von der Stelle rücken läßt, in Form einer großen Parabel die sogenannte Vergangenheitsbewältigung zur Kenntlichkeit gebracht.
Bei Bauer wie Kalmar ist die große Vielseitigkeit in Leben und Werk auffällig. Sie wurde herausgefordert durch das Exil, das die gängigen Arbeitsteilungen, Abgrenzungen zwischen den verschiedenen 'Sparten' in Frage stellte. Die "Kultur" lag nicht mehr bereit wie ein Fächer, der bei Bedarf auf- und zugeklappt werden konnte. In der Kultur des Exils entstanden Übergänge, krisenhafte Zusammenstöße, neue Verhältnisse zwischen dem persönlichen Engagement und der betriebenen Sache. Alfredo Bauer und Fritz Kalmar, sind gerade in den letzten Jahren mit Buchpublikationen hervorgetreten. Von Bauer erschienen der Stefan Zweig-Roman Der Mann von gestern und die Welt (1993; Grundlage des Librettos zu der 1996 in der Wiener Kammeroper uraufgeführten Oper Aus allen Blüten Bitternis von Christoph Cech), die Sammlung von Chroniken Hexenprozeß in Tucumán (1996) und der "Lebensroman" der Marie Louise von Habsburg Geliebteste Tochter (1997). Von Kalmar erschienen die "Heimwehgeschichten aus Südamerika" Das Herz europaschwer (1997), der Roman Das Wunder von Büttelsburg (1999) und der Erzählband Von lauten und von leisen Leuten (2001). Bauer wie Kalmar bestechen durch ihr reichhaltiges Werk und ihre Produktivität, durch ihre Weltoffenheit und Intelligenz. Schreibend finden sie beide einen Zugang ohne nationalen Vorbehalt zu den menschlichen Dingen, ob in Europa oder in Lateinamerika.
Feierliche Verleihung in Krems (NÖ)
Freitag, 26. April 2002, 20 Uhr, Minoritenkirche Stein/Krems
Verleihung des Theodor Kramer Preises für Schreiben im Widerstand und im Exil - Uraufführung neuer Vertonungen von Gedichten Theodor Kramers:
Begrüßung durch Mag. Edmund Freibauer (Präsident des Niederösterreichischen Landtages) und Univ.-Prof. Dr. Karl Müller (Vorsitzender der Theodor Kramer Gesellschaft).
Uraufführung des Liedzyklus "Vertriebene Lieder" für Sopran und Klavier von Ulf-Diether Soyka durch Elisabeth Linhart (Sopran) und Volker Nemmer (Klavier).
Konstantin Kaiser und Erich Hackl hielten die Laudationes für Alfredo Bauer und Fritz Kalmar. Alfredo Bauer und Fritz Kalmar (vertreten durch seinen Neffen Roberto Kalmar) sprachen Dankesworte.
Uraufführung von Karlheinz Schrödls Vertonungen der Kramer-Gedichte "Kaktus" und "Es geht ganz sacht auf Früh" durch Elisabeth Linhart und Volker Nemmer.
Miguel Herz-Kestranek lasaus dem Werk von Alfredo Bauer und Fritz Kalmar.Gemeinsame Veranstaltung von Theodor Kramer Gesellschaft, NÖ Donaufestival und Unabhängiges Literaturhaus NÖ und des Orpheus Trust.
Montag, 29. April: Alfredo Bauer las und diskutierte in Rohrbach (OÖ); Moderation Gerhard Giesa.
Dienstag, 30. April: Adalbert Stifter Haus, 4020 Linz: Konstantin Kaiser stellte den Preisträger Alfredo Bauer vor. Lesung A. Bauers und Diskussion.
Donnerstag, 2. Mai: Alfredo Bauer las und diskutierte im Kulturzentrum Siebenstern, Wien; Thema: Argentinien heute.
Samstag, 4. Mai: Alfredo Bauer diskutierte und las in Wien auf Einladung der IGLA.
Mittwoch, 8. Mai: Alfredo Bauer las in München (Einladung: Leo Mayer).
Freitag, 10. Mai: Alfredo Bauer trat bei einer Veranstaltung der Grazer Autorenversammlung zum Gedenken an die nationalsozialistischen Bücherverbrennungen (10.5. 1933) auf.
Mittwoch, 15. Mai: Alfredo Bauer hielt einen Vortrag an der Universität Graz.
Donnerstag, 23. Mai, 19 Uhr: Alfredo Bauer las im Literarischen Quartier Alte Schmiede, 1010 Wien, Schönlaterng. 9. Einleitung: Siglinde Bolbecher.
Dienstag, 28. Mai, 19 Uhr 30: ESRA, 1020 Wien, Tempelg. 5: Fritz Kalmar und Alfredo Bauer - feierliche Vorstellung der Theodor Kramer-Preisträger 2002 in Wien.
Mittwoch, 29. Mai: Abschlußveranstaltung im Unabhängigen Literaturhaus NÖ in Krems mit Alfredo Bauer und Fritz Kalmar.
Sonntag, 16. Juni, 17-22 Uhr: Liebhartstaler Bockkeller, 1160 Wien, Gallitzinstr. 1: LeserInnenfest der Zeitschrift Zwischenwelt mit Fritz Kalmar, dem Ersten Wien Lesetheater u.a. Eröffnung: GR Dr. Michael Ludwig. Gemeinsame Veranstaltung mit dem Verband Wiener Volksbildung.