2009 - Ilana Shmueli und Josef Burg

Theodor Kramer Preis 2009 an Ilana Shmueli und Josef Burg


Foto: Wladimir Fried Archiv der Theodor Kramer Gesellschaft
Foto: Vorlass Josef Burg in der ÖLA

Der Theodor Kramer Preis für Schreiben im Widerstand und Exil wurde im Mai 2009 zu gleichen Teilen an zwei Autoren verliehen, die ihre Wurzeln im einstmaligen österreichischen Kronland Bukowina haben. Während Ilana Shmueli ihre Hei­matstadt Czernowitz 1944 für immer verließ und in Israel eine neue Heimat fand, kehrte Josef Burg, der 1941 aus Czernowitz geflohen war, 1959 zurück. Beide haben auch eine starke Beziehung zu Wien ─ Shmueli durch das kulturel­le Gepräge ihres Eltern­hauses und die Tatsache, daß ihre Mutter Wienerin war, Burg durch sein Germa­nistikstudium in Wien vor dem "Anschluß", eine Zeit, in der er in Kontakt mit hervorragenden Vertretern der jiddischen Literatur in Österreich kam. Shmueli und Burg vertreten zwei der wichtigen Litera­turspra­chen der Stadt Czernowitz: Deutsch und Jiddisch.


Begründungen für die Zuerkennnung des Preises

"Spät und tief" sind die Gedichte Ilana Shmuelis auf uns gekom­men, wie aus einer anderen Zeit und einem anderen Raum. Ortlo­sigkeit und Wortlosigkeit, die Erfahrung, unbeheimatet und sprachlos zu sein, ist eine der Wurzeln, aus denen ihre Dichtung hervorwächst. Und dennoch verbinden sich ihre Verse in äußer­ster Verknappung des Ausdrucks mit einem reichen Strom von Vorstellungen. Es ist eine große Lebendigkeit, die hier von sich zeugt, die gegen Enge, Kälte, Vorurteil anrennt. Shmuelis Dich­tung ist "Zwischenruf, Einspruch, Widerwort, Aufschrei" (Mat­thias Fallenstein). Sie bezieht sich vielfältig auf die Poesie des Freundes Paul Celan und widersetzt sich ihr zugleich. In ihren Erinne­rungen an eine Jugend im Czernowitz der Zwischenkriegs­zeit und ihrem Briefwechsel mit Celan öffnet Shmueli zugleich den Blick auf den bedeutenden kulturellen Hinter­grund ihres Schreibens im Exil.

Josef Burg trat schon früh mit seinen in jiddischer Sprache ver­faßten Erzählun­gen hervor; der nationalsozialistische Angriff auf seine Welt und dessen Folgen unterbrachen seinen literarischen Weg fast ein halbes Jahrhundert. Burgs Figuren bevölkern das weite aufgerissene Land zwischen Wien im Westen und Baby Yar im Osten, zwischen Vilnius im Norden und Bukarest im Süden, das Gebiet, in dem einst über zehn Millionen Menschen Jiddisch gesprochen haben. Seine Erzählungen sind Klage um das Verlorene und Lobpreisung des Leben­digen zugleich. Sie bewegen sich fast ausnahmslos am Rande und vor dem Hinter­grund des national­sozialistischen Massenmords an den Juden, geben aber auch angesichts des Verhängnisses den Kampf um Spielräume menschlicher Entscheidungsmöglich­keiten, um Ni­schen der Verständigung so wenig auf, wie Burg selbst seine Mutter­sprache, in all ihrer Plastizität und zupackenden Kon­kret­heit, aufzugeben bereit ist. Hier ist jedes Detail wie eingeschrie­ben in ein größeres Gedächtnis.

 

Kurzbiographien der Preisträger

Ilana Shmueli


 Foto Archiv Ilana Shmueli

Ilana Shmueli, geboren März 1924 in Czernowitz, lebt in Jerusa­lem. Nach Ghetto und Überweisung ins Juden-Wohnviertel Flucht mit Eltern über Con­stanza und Istanbul nach Tel Aviv. Studium der Musikerzie­hung, Sozialarbeit und Kriminologie. Bekanntschaft u.a. mit Oskar Kokoschka, Rose Ausländer und Paul Celan, über den sie 1999 ihre Aufzeichnungen "Sag, daß Jerusalem ist" auf Hebräisch veröffentlichte (mit Übersetzung von 27 Gedichten Celans). Begann spät eigene Lyrik und auto­biographische Prosa zu publizieren. Zuletzt erschien der Ge­dicht­band "Zwischen dem Jetzt und dem Jetzt" (2007).

Josef Burg

 
 Foto Vorlass Josef Burg in der ÖLA

Josef Burg, geboren 1912 in Wischnitz in der Bukowina, lebt in Czer­nowitz. 1934 erste Erzählung in den "tschernowizer bleter", die 1938 zwangseinge­stellt wurden und von Burg ab 1990 als jiddische Monats­zeitschrift wieder herausgegeben werden. Studium der Germanistik in Wien, 1941 Flucht in die Sowjetunion, Deutschlehrer in der Wolga­deutschen Republik und Hochschul­lehrer in Iwanowo, seit 1959 als Lehrer und freier Schriftsteller  in Czernowitz. Mehrfach ausgezeichnet, z.B. mit dem Österrei­chischen Ehrenkreuz für Wissen­schaft und Kunst I. Klasse. Viele Bücher, zuletzt "Ein Stück trockenes Brot" (2008).

Josef Burg starb am 10. August 2009. Mehr Informationen dazu finden Sie unter dem Punkt Aktuelles.

 

Ausführliche Biographien der Preisträger

Ilana Shmueli, geb. als Liane Schindler am 7.3. 1924 in Czerno­witz. Vater Möbelfabrikant, Mutter aus Wiener Familie. Shmueli besuchte bis 1940 die rumänische Schule, 1940-41 die jiddi­sche. Nach der deutsch-rumänischen Besetzung entging die Familie aufgrund einer rumänischen Aufenthaltsbewil­ligung der Deportation nach Transnistrien; nach einem mehrere Monate an­dauernden Aufenthalt im Ghetto in ein für Juden bestimmtes Wohnviertel überwiesen. In dieser Zeit Bekanntschaft mit Rose Ausländer und Freundschaft mit Paul Celan. März 1944 mit den Eltern in einer organisierten Gruppe auf illegalen Wegen über Constan­za nach Istanbul und Tel Aviv; dort Studium am Seminar für Musik­erziehung. 1950-51 in London; Bekanntschaft mit Oskar Kokoschka und Itzig Manger. 1953 Heirat mit dem Musik­wissenschaftler Herzl Shmueli. Studium der Sozialarbeit und Kriminologie; auf diesen Gebie­ten bis 1984 tätig. 1965 Wieder­begegnung mit Paul Celan in Paris; 1969 mit Celan in Jerusalem. Übersetzte aus dem Hebräischen und dem Deutschen und be­gann spät Gedichte zu schreiben (Deutsch und Hebräisch); ver­einzelt Veröffentlichun­gen ihrer Gedichte und autobio­graphischen Prosaarbeiten in Literaturzeitschrif­ten und Anthologien. 1999 veröffentlichte sie "Sag, daß Jerusalem ist" (Auf­zeichnungen über Paul Celan, Oktober 1969 ─ April 1970) auf Hebräisch mit Über­setzungen von 27 Gedichten Celans. 2002, nach dem Tod ihres Man­nes, Übersiedlung nach Jerusalem.

Bücher: Sag, daß Jerusalem ist. Über Paul Celan: Oktober 1969 ─ April 1970 (Eggingen 2000); Briefwechsel mit Paul Celan (Frankfurt/M. 2004); Ein Kind aus guter Familie. Czernowitz 1924-1944 (Aachen 2006); Fragmentos de una época. Una carta. (Spanisch, auch Nieder­ländisch und Englisch, deutsche Ausgabe in Vorbereitung; Barcelona 2007); Zwischen dem Jetzt und dem Jetzt. (Gedichte; Aachen, Wien 2007).


Josef Burg, geb. am 30.5. 1912 in Wischnitz in der Bukowina. Vater: Flößer. Schule und Lehrerseminar des "Jüdischen Schul-Vereins" in Czernowitz. 1934 erste Erzählung in der jiddischen Zeitschrift "tscher­nowizer bleter". 1935-38 Studium der Germa­nistik in Wien. Bekannt­schaft mit den jiddischen Autoren Mendel Neugröschel, Ber Horowitz, Melech Rawitsch. 1941 Flucht in die Sowjetunion. Deutschlehrer in der Wolgadeutschen Republik und Hochschulleh­rer in Iwanowo. 1959 Rückkehr ins mittlerweile ukrainische Czernowitz. Lehrer und freier Schriftsteller; seine Erzählungen werden in der seit 1961 in Moskau erscheinenden jiddischen Zeitschrift "ssowetisch hejmland", aber auch in den USA, in Israel und Polen veröffentlicht. Ab 1990 gab er in Czer­nowitz eine jiddische Monatszeitschrift unter dem Namen der 1938 zwangseingestellten "tschernowizer bleter" heraus. Zu seinem 80. Geburtstag wurde in Czernowitz eine Festschrift zu seinen Ehren veröffentlicht. 1992 erhielt er den israelischen Segal-Preis für Literatur, 1993 wurde ihm der Ehrentitel "Ver­dienter Kultur­schaffender der Ukraine", 1997 das Österreichi­sche Ehrenkreuz für Wissen­schaft und Kunst I. Klasse verliehen. Burgs Werke erscheinen, übersetzt von Beate Petras und Armin Eidherr, seit 2004 in der Reihe "Der Erzähler Josef Burg" im Verlag Hans Boldt, Winsen/Luhe (BRD).

Bücher: afn tschermosch (Auf dem Czeremosz, Bukarest 1939; deutsch: Winsen 2005); ssam (Gift, Czernowitz 1940; deutsch: Winsen 2005); doss lebn gejt wajter (Das Leben geht weiter, Moskau 1980); iberruf fun zajtn (Über die Zeiten hinweg, Mos­kau 1983); a farsch­petikter echo (Ein verspätetes Echo, Moskau 1990; deutsch: München 1999); Ein Gesang über allen Gesän­gen (Leipzig 1988); Sterne altern nicht (Winsen 2004); Dämme­rung (Winsen 2005); Mein Czernowitz (Winsen 2006); Begeg­nungen. Eine Karpatenreise (Winsen 2006); Über jiddische Dich­ter (Winsen 2007); Ein Stück trockenes Brot (Winsen 2008).