Ausgewählte Gedichte

 

Die Wahrheit ist, man hat mir nichts getan
        

Die Wahrheit ist, man hat mir nichts getan.
Ich darf schon lang in keiner Zeitung schreiben,
die Mutter darf noch in der Wohnung bleiben.
Die Wahrheit ist, man hat mir nichts getan

 
Der Greisler schneidet mir den Schinken an
und dankt mir, wenn ich ihn bezahle, kindlich;
wovon ich leben werd, ist unerfindlich.
Die Wahrheit ist, man hat mir nichts getan.

 
Es öffnet sich mir in kein Land die Bahn,
ich kann mich nicht selbst von hinnen heben:
ich habe einfach keinen Raum zum Leben.
Die Wahrheit ist, man hat mir nichts getan.
(13. Juli 1938)

 


Wer läutet draußen an der Tür?        
    
Wer läutet draußen an der Tür,
kaum daß es sich erhellt?
Ich geh schon, Schatz.  Der Bub hat nur
die Semmeln hingestellt.

 
Wer läutet draußen an der Tür?
Bleib nur; ich geh, mein Kind.
Es war ein Mann, der fragte an
beim Nachbar, wer wir sind.

 
Wer läutet draußen an der Tür?
Laß ruhig die Wanne voll.
Die Post war da; der Brief ist nicht
dabei, der kommen soll.

 
Wer läutet draußen an der Tür?
Leg du die Betten aus.
Der Hausbesorger war's; wir solln
am Ersten aus dem Haus.

 
Wer läutet draußen an der Tür?
Die Fuchsien blühn so nah.
Pack, Liebste, mir mein Waschzeug ein
und wein nicht: sie sind da.
(18. Juni 1938)



Gesammelte Gedichte. Band 1 - 3. Hg. von Erwin Chvojka. Wien, München, Zürich: Europaverlag 1984, 1985, 1987; 1. Band in überarbeiteter 2. Aufl., 1989