1919-1933: Überleben und Dichtung

In Wien angekommen setzt er sein Studium der Philosophie, Germanistik und Geschichte fort. Während Richard Kramer 1919 sein Chemiestudium aufgibt, um am Land für die KPÖ zu werben, beginnt Th.K. ein Jus-Studium. Aus finanziellen Gründen bricht Th.K. 1921 ebenfalls seine Studien ab, auch fehlt ihm das notwendige Latinum, um diese fortzusetzen. Da seine Eltern wegen der Inflation verarmt sind, muss Th.K. neben dem Studium arbeiten. Von 1919 bis 1921 ist er bei der Deutsch-Österreichischen Kriegs-Getreide-Anstalt angestellt, dann vor allem in Buchhandlungen und bis 1931 als Buchvertreter.
Die 20er Jahre sind auch die Zeit der ausgedehnten Wanderungen Theodor Kramers durch Niederösterreich und das Burgenland. Die Erlebnisse und Beobachtungen dieser Wanderungen fließen genauso in seine frühe Lyrik ein, wie die Erinnerungen an den Weltkrieg. Aus dem Jahre 1926 stammt seine erste Gedicht-Veröffentlichung unter dem Titel „Anderes Licht“ in der Wiener Zeitschrift „Die Bühne“. Das Jahr 1927 bedeutet für Th.K. selbst den Beginn einer eigenen lyrischen Ausdrucksweise. Leo Perutz ist einer jener Freunde, die ihm mit Rat und Tat helfen und ihm Wege zu den Verlagen und in die Öffentlichkeit ebnen. Entscheidende Mithilfe kommt von dem Lyriker und Journalisten Joseph Kalmer. 1927 ist auch das Jahr, in dem sich Th.K. zum ersten Mal an einem Lyrik-Wettbewerb, dem des S. Fischer-Verlages, beteiligt, dabei zwar keinen Preis gewinnt, aber als lyrische Hoffnung genannt wird.
1928 wird der erste Gedichtband "Die Gaunerzinke" im Frankfurter Verlag Rütten & Loening gedruckt, der Gedichte der Jahre 1927 und 1928 enthält, die z.T. vorher schon in verschiedenen Zeitungen, u. a. in der Wiener "Arbeiter-Zeitung" oder im "Simplizissimus" abgedruckt worden sind. Der Band wird von der Literaturkritik großteils positiv aufgenommen (z.B. Ernst Lissauer, Richard von Schaukal, Otto Koenig, Georg van der Vring). Th.K. wird noch im selben Jahr der Künstlerpreis der Stadt Wien für Lyrik verliehen, den mit ihm gemeinsam auch Heinrich Suso Waldeck erhält. Die nazistische Kritik meint schon zu diesem Zeitpunkt, ihn als "Hofpoeten der Demokratie" (Alfred Rosenberg) denunzieren zu können. Aus der christlich-sozialen Ecke glaubte man Kramer u. a. wegen seines angeblichen "jüdischen Jargons" verunglimpfen zu dürfen (Rudolf Sobotka).
Th.K. kann zeitweise bis 1933 von seinen Publikationen in diversen Zeitungen, Zeitschriften und Anthologien und von den Einnahmen aus Rundfunksendungen leben. Seine Gedichte werden insbesondere in Wien, Berlin und Prag gedruckt. 1929 erhält er den Preis der Julius Reich-Stiftung. Th.K. schließt in dieser Zeit Freundschaften z. B. mit Paul Elbogen, Georg van der Vring und Rudolf Brunngraber. Er bekommt die Möglichkeit, in Wiener Arbeiterheimen und in den Volkshochschulen zu lesen. 1930 folgt der nur 14 Texte umfassende Gedichtband „Kalendarium“, herausgegeben in der Reihe der Flugblätter des Kartells Lyrischer Autoren und des Bundes Deutscher Lyriker in Berlin.
1931 nimmt sich der Zsolnay-Verlag der Gedichte Kramers an: Es erscheinen nach langem Schweigen seine erst zwischen 1928 und 1930 entstandenen Kriegsgedichte unter dem Titel "Wir lagen in Wolhynien im Morast...", gewidmet seiner späteren Frau Inge Halberstam. Einigen sozialistischen Kritikern, so z. B. Josef Luitpold Stern, fehlt die belehrende Moral, die eindeutige Tendenz dieser Anti-Kriegsgedichte, während Th.K. darauf besteht, die Dinge so darzustellen, wie sie waren.
Aufgrund einer schweren Erkrankung, die Kramer monatelang im Krankenhaus einsperrt, ist er ab Herbst 1931 gezwungen, ausschließlich von seinen sehr bescheidenen Einkünften als Lyriker zu leben. Eine für den Schlesischen Rundfunk geschriebene Lebensskizze (1931) zieht zum ersten Mal Bilanz. In seinem Text „Der Lyriker kalkuliert“ als Antwort auf eine Rundfrage des „Berliner Tageblatts“ berichtet Kramer über seine Arbeitsweise. Im Juni 1933 heiratet er Inge (Rosa) Halberstamm.